Komische Oper Berlin


Premiere: 8.03.2014 | Operette

Clivia

Nico Dostal/Charles Amberg/F. Maregg
Mit den Geschwistern Pfister

Stückinfo

Die Geschwister Pfister sind zum ersten Mal auf der Bühne eines Berliner Opernhauses zu erleben, in Nico Dostals bekanntester, 1933 im Theater am Nollendorfplatz uraufgeführter Operette. Hollywood, südamerikanische Leidenschaft und ein Schuss Berliner Schrulligkeit sind die Zutaten dieser verrückten Posse, die ihr vergnügliches Spiel mit allerlei Klischees – von der Filmdiva à la Greta Garbo bis zum Revolutionär aus Leidenschaft à la Che Guevara – treibt. In der für die Operette der 1920er und 30er Jahre typischen, erfrischend unbefangenen Weise spielt auch die Musik mit unterschiedlichen Stilen und Genres – vom Jazz über südamerikanische Rhythmen bis hin zum schmissigen Berliner Marschlied. Ein wilder Mix aus einem ungleichen Liebespaar, einem zwielichtigen Filmproduzenten, einem verliebten rasenden Reporter, tanzenden revolutionären Amazonen und einem skurrilen Berliner Erfinder kennzeichnet die Handlung von Dostals Erstlingswerk.

Kreativteam

Inszenierung: Stefan Huber
Musikalische Leitung: Kait Tietje
Choreographie: Danny Costello
Bühnenbild: Stephan Prattes
Kostüme: Heike Seidler
Lichtdesign: Diego Leetz
Sounddesign: Matthias Reusch/Sebastian Lipski
Dramaturgie: Ulrich Lenz

Cast

Stefan Kurt, Christoph Marti, Tobias Bonn, Andreja Schneider, Peter Renz, Christoph Späth, Max Gertsch, Markus Merz, Jan Proporowitz, Volker Herden, Sascha Borris, Máté Gal, Matthias Spenke, Bernhard Hansky, Josefine Eberlein, Alessandra Bizzarri, Sarah Bowden, Laura Fernandez, Cora Roloff, Mariana Souza, Jane-Lynn Steinbrunn, Lada Wongpeng, Marion Zollinger, Paul Gerritsen, Silvano Maraffa, Daniel Orellana, Daniel Therrien, Etienne Röder

Szenenfotos

Video






Pressestimmen

Carsten Brauhaus, www.siegessäule.de

Die Mutter aller Show-Treppen. Mit der „Clivia“ versetzten die Geschwister Pfister die Komische Oper in Bombenstimmung. „Man spricht heut nur noch von Clivia“: Die gesamte queere Kultur-Schickeria ist am Samstag gespannt wie ein Flitzebogen: Kann die Komischen Oper seine Erfolgsserie unter Barrie Kosky tatsächlich weiter fortsetzen? Gleich zu Beginn seiner Intendanz hatte der Australier seine Fühler in Richtung Geschwister Pfister ausgestreckt. „Meine Traumrolle ist die Clivia“, soll Christoph Marti damals geseufzt haben. „I can make your dreams come true“, so die Antwort von Kosky — passte das fast vergessene Werk von Nico Dostal doch ausgezeichnet zu seinem verdienten Konzept, den Schatz der legendären Berliner Operettentradition aus den 20er und frühen 30er Jahren neu zu heben. Wie praktisch, dass sich in dem Libretto auch für die anderen beiden Pfisters Rollen fanden, die ihnen quasi auf den Leib geschrieben sind. Andreja Schneider führt als resolut-burschikose Kommandantin eine Amazonenarmee (!) an, die in ihren sexy türkis-blauen Uniformen direkt aus einem übersexualisierten Bootcamp entstiegen scheint. Tobias Bonn dagegen wird zum wild-romantischen Gaucho, der sich als Präsident der Revolution entpuppt – und schließlich Christoph Marti: Er lässt keine Sekunde einen Zweifel aufkommen, dass keine seiner Kolleginnen ihm als Clivia das Wasser reichen könnte: als überkandidelte Hollywooddiva, die für ein Filmprojekt ins südamerikanischen „Boliguay“ eingeflogen wird. Die Berliner Neuinszenierung ist die erste seit der Uraufführung 1933 Zugegebenermaßen: Rein stimmlich gesehen hatte Anneliese Rothenberger die Partie sicher besser im Griff. Derlei muffig-biederen Nachkriegs-Interpretationen haben wir es allerdings auch zu verdanken, dass die eigentlich wilde Melange lange Zeit als unspielbar in der Mottenkiste verschwand. Die jetzige Neuinszenierung ist tatsächlich die erste in Berlin seit der Uraufführung 1933. Erst die Geschwister Pfister unter der Over-the-Top-Regie des gestandenen Musical-Regisseurs Stefan Huber geben den Werk den entscheidenden Schubs, um es aus dem Kitsch in die Welt des ultimativen Camp zu befördern. „Ich bin verliebt, bin so verliebt“: Texte wie diese gewinnen eine ganz neue Überzeugungskraft, wenn Christoph Marti als Clivia dabei auf einem in Nebelschwaden schwimmenden Schwan posiert. Die arg versponnene Geschichte – ein amerikanischer Industrieller versucht unter Vorwand eines Filmprojekts seine Investitionen in dem revolutionsgeschüttelten Land zu retten – greift mit der amerikanischen Dollardiplomatie und dem Hollywood-Starkult damals aktuelle Themen auf. Schnell aber wird klar, dass die rasch vorangetriebene Handlung zu allererst nur Vorwand bietet, um zur nächsten, noch klangvolleren Orchestrierung überzuleiten, neu und zugespitzt arrangiert von Kai Tietje. Für das Bühnenbild hat Stephan Prattes unter anderem etwas kreiert, das man in all seiner goldschimmernden Opulenz getrost als Mutter aller Showtreppen bezeichnen kann. Wenn Christoph Marti sie hinabschreitet, ist er endlich auf der ganz großen Bühne gelandet – die er als Ursli Pfister bisher mit eher geringen Mitteln herbeiimaginieren musste. Die Komische Oper mit ihren Hochkultur-Ressourcen bietet dabei einen Pomp und eine Perfektion, die ein privates Haus nie stemmen könnte – wohl selbst am Broadway nicht. 60 Chorsolisten und zwölf Tänzer bringen die Bühne beim Swing, Foxtrott und Tango unter der schmissigen Choreografie von Danny Costello zum Beben. In Champagnerlaune versetzt spendet das Berliner Publikum Standing Ovations. Auch die Clivia wird Kosky in den nächsten Jahren ein ausverkauftes Haus bescheren.

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Axel Schock, liveundlustig.wordpress.com

"...Es war nur eine Frage der Zeit, dass die Geschwister Pfister alias Tobias Bonn, Christoph Marti und Andreja Schneider, endlich auch in ihrer Wahlheimat Berlin zu Staatstheaterehren kommen würden. Denn jenseits ihrer ureigenen musikalischen Shows als multikulturelle Wahlfamilie Pfister haben sie andernorts über viele Jahre hinweg eine Parallelkarriere in Operetten- und Musicalproduktionen aufgebaut – vom Theater St. Gallen über das Stadttheater Bern bis zum Münchner Residenztheater. Und nun also die Komische Oper. Dort weht unter dem Intendanten Barry Kosky seit der Spielzeit 2012/13 ein wohltuender frischer Wind, der die Grenzen zwischen E und U aufgebrochen hat und sich dabei auch der durch den Nationalsozialismus jäh abgebrochenen deutschen Entertainmentkultur der 1930er Jahre erinnert – zuletzt mit Paul Abrahams wiederentdeckter Jazzoperette „Ball im Savoy“ (und der umwerfenden Katharine Mehrling) und Emmerich Kálmán „Die Herzogin von Chicago“ (mit Gayle Tufts in der Titelrolle). „Clivia“, die 1933 am Berliner Theater am Nollendorfplatz uraufgeführte Operette, stand zwar im Nachkriegsdeutschland weiterhin auf den Spielplänen, was für einen aberwitzigen Spaß und welch musikalischen Farbenreichtum Nico Dostals Komposition zu bieten hat, dürfen die Nachgeborenen nun erst erleben. Die Geschichte, die sich die Librettisten Charles Amberg und Franz Maregg da ausgedacht haben, kennt keinen doppelten Boden, muss nicht um- und tiefengedeutet oder zwanghaft aktualisiert werden: Sie ist und bleibt zuvörderst eine durchgeknallte Posse, die jedes erdenkliche Klischee (unter anderem über Südamerika, gewitzte Investoren, Revolutionen und Filmschauspieler) mit Verve auf die Spitze treibt. Weil der zwielichtige Chicagoer Geschäfts- mann im (fiktiven) südamerikanischen Boliquay durch eine revolutionäre Regierung seine Geschäfte bedroht sieht, will er dort einen Umsturz einfädeln. Um ins Land zukommen, schwingt er sich kurzerhand zum Filmproduzenten auf, und der Star des geplanten Streifens, Clivia Gray, wird dazu verdonnert, eine Scheinehe mit einem Einheimischen einzugehen, um so die boliquayische Staatsbürgerschaft und damit auch eine Arbeitserlaubnis für die gesamte Crew zu erlangen. Dass sie sich in den auserwählten Gaucho Juan Damingo verlieben könnte (und umgekehrt), konnte Potterton freilich nicht ahnen. Auch nicht, dass es sich bei Damingo, gespielt von Tobias Bonn, in Wahrheit um Olivero, den amtierenden Präsidenten der Republik von Boliquay handelt. Regisseur Stefan Huber und sein Team haben, im besten Wortsinne, weder Kosten noch Mühen gescheut, Dostals Werk gerecht zu werden. Der Ausstattungsaufwand ist enorm. Selbst auf die genretypische monumentale Revuetreppe wird nicht verzichtet. Im zweiten Akt sitzt das Orchester gleich mit auf der Bühne und eine halbe Hundertschaft an Akteuren belebt die mondäne Ballszene. Andreja Schneider wiederum, Anführerin einer Amazonen-Armee, marschiert mit ihren kurzberockten Truppenangehörigen in einer türkisfarbenen Fantasieuniform so kess und schneidig durch den Grenzposten, dass man sich fast wie auf dem Rosenmontagszug fühlt. Überhaupt formieren Choreografie und Regie das komplette Ensemble samt Chor und Tänzern immer wieder zu beeindruckenden Massenszenen, die – ganz der klassischen Revue verpflichtet – in temperamentvolle Tanznummern übergehen. Dostals Musik, in der vom Tango über Bolero bis Flamenco so ziemlich alle lateinamerikanischen Stile vermengt sind, bietet reichlich Grundlage, während einige der bekanntesten „Clivia“-Lieder eher dem klassischen Genrestandard verpflichtet sind und sich den kitschigen Niederungen des Operettenschmalzes nähern. In der Komischen Oper bannt man diese Gefahr bereits durch die Besetzung. Christoph Martis Version der Clivia Gray ist die Summe aller Hollywood-Diven – samt ausladender Gesten, lasziver Augenaufschläge und treudoofer, reuiger Blicke. Marti hat bereits als „Csárdásfürstin“, in „Hello, Dolly“ oder als sein Country singendes alter Ego Ursula West gezeigt, wie souverän er in Frauenrollen zu schlüpfen vermag. Und als Clivia, die optisch wie eine Wiedergeburt der wasserstoffblonden Jean Harlow daherkommt, versteht er es nun gleichermaßen galant und imposant die Revuetreppe hinunterzuschreiten, sich grazil aufs Kanapee zu werfen und sich demütig dem Geliebten zu Füßen zu werfen. Auch Tobias Bonn als Che-Guevara-Verschnitt trägt dick auf, wie auch die diversen Nebenfiguren, etwa der berlinernde Erfinder Gustav Kasulke (Christoph Späth) oder der rasende Reporter Lelio Down (Peter Renz). Doch Hubers Inszenierung ist keine Parodie, sondern nimmt ihren Gegenstand durchaus ernst: als eine Operette, die das Genre und die darin verhackstückten Klischees selbst bereits in Anführungszeichen setzt. Erst dieser ironische Ton macht „Clivia“ im 21. Jahrhundert denn auch spielbar. Gleichwohl wird diese Produktion spalten. Freunde des Bel Canto und erst recht die Fans von Anneliese Rothenberger (die Clivia der klassischen CD-Einspielung von 1951) werden sich an Christoph Martis eingeschränkten stimmlichen Möglichkeiten stören. Verfechter des Regietheaters werden monieren, dass sie von der Komischen Oper als subventioniertem Haus mehr erwarten, als leicht konsumierbare Unterhaltung und womöglich Bezüge zu den aktuellen wirtschaftliche und politischen Krisenherde in der Welt vermissen. Und warum, wird sich manch gestrenger Operngänger fragen, müssen diese seltsamen Geschwister Pfister als Gäste ans Haus verpflichtet werden, wo das Haus doch über ein formidables Ensemble verfügt? Ungeachtet dessen aber hat die Komische Oper einen Coup gelandet und nunmehr eine Inszenierung im Repertoire, die man so schnell nicht vergessen wird und das Premierenpublikum von den Sitzen riss. Die Vorstellungen in dieser Spielzeit sind Dank des großen Fanpublikums der Geschwister Pfister schon jetzt so gut wie alle ausverkauft.




Frederik Hanssen, Der Tagesspiegel

"...Jubel, Trubel, Heiterkeit herrschen am Samstag bei der „Clivia“-Premiere, Solisten, Dirigent, Orchester, Regie, alle werden gefeiert, der Saal kocht. Berlin hat einen neuen Operettenhit. (...)Die von Stephan Prattes und Heike Seidler ausgestattete Inszenierung prunkt mit einem Aufwand, wie ihn nur subventionierte Bühnen leisten können: Vor dem Prachtpanorama eines gemalten Anden-Bergmassivs stehen putzige Fassaden, die aussehen wie direkt aus Schlumpfhausen importiert. Hier startet der Abend mit einer furiosen Massenprügelei (Choreografie: Danny Costello), hier wird der Handlungsknoten geknüpft, hier paradiert die boliguaysche Amazonenarmee auf. Wenn das Libretto für den zweiten Akt einen Ballsaal fordert, hebt sich der Hintergrundprospekt – und in einem spektakulären Wow-Effekt wird auf der Drehbühne das Orchester hereingefahren. Die Musiker sitzen steil gestaffelt wie eine Big Band, über ihren Köpfen wölbt sich eine Pergola aus goldglitzernden Riesenblumen, zu der zwei Showtreppen hinaufführen. In diesem kolossalen Kitschambiente bewegen sich die Pfisters mit traumwandlerischer Sicherheit. Weil sie vermutlich jeden Musikfilm der zwanziger bis fünfziger Jahre auswendig kennen, weil sie schon als Minderjährige Anneliese Rothenbergers Sendungen inhaliert, keine Folge von „Erkennen Sie die Melodie“ verpasst haben. Und weil sie mit dem Regisseur Stefan Huber einen Vertrauten an ihrer Seite wissen, mit dem sie all seine Kleinkunstabende realisiert haben..."




Frank Fechter, www.magazin.klassik.com

"Operettenerfolg in Berlin -Alle lieben Clivia. Was für ein rauschender Erfolg! Standing Ovations und Jubel für Berlins neuen Musiktheaterhit! Der Komischen Oper ist mit dieser Premiere gelungen, was die vorausgegangenen Operetten-Produktionen versprachen. Mit Nico Dostals 1933 in Berlin uraufgeführtem, einstigem Operetten-Hit 'Clivia' hat man das rechte Vehikel gefunden, um die bunte, nonsens-witzige Revueoperette der Zwischenkriegszeit wiederzubeleben. Drei kurzweilige Stunden lang amüsiert sich das Publikum köstlich, jede Nummer zündet, Tempo und Timing der Dialoge sitzen, die Choreographie und Ausstattung sind schlichtweg großartig! Barry Kosky, Intendant der Komischen Oper, ist nicht hoch genug zu loben. Konsequent hat er einen Weg eingeschlagen, den die Spezialhäuser in Dresden und Leipzig seit Jahrzehnten verpassen. Die Wiederbelebung der Operette als frech, sexy, aberwitzig und mit großem Schauwert. Eben so, wie das Genre einmal war, bevor die Nazis ihre oft jüdischen Autoren meuchelten und die Heileweltästhetik der Nachkriegsjahre bis hin zu den großen Samstagabendshows im Fernsehen der Operette den Rest gaben. Innerhalb von zwei Spielzeiten hat die Komische Oper konsequent diesen Weg beschritten und sich dabei verlorene Musizier- und Spieltraditionen wieder angeeignet. Waren bei Kálmáns konzertant dargebrachter 'Bajadere' das Orchester zu groß und die Sänger nicht ideal, bei Abraháms gefeiertem 'Ball im Savoy' die vokale und instrumentale Seite stilistisch noch unentschieden und in eine Vielzahl von möglichen Ansätzen zerfallen, fehlte Kálmáns konzertanter und arg zusammengekürzter Tanzoperette 'Die Herzogin von Chicago' die Szene und die Tänze, so gelang nun mit Dostals 'Clivia' der perfekte Wurf. Wie einst stehen (vor allem lokal bekannte) Stars im Mittelpunkt der Show: die Geschwister Pfister, ein unwiderstehliches Trio, das sich seit langem in seinen Programmen der Operette und dem Schlager verschrieben hat. Mit Mitteln der Travestie, des Impersonating, der dezenten Parodie und des bewusst gesetzten Kalauers haben Christoph Marti (alias Ursli Pfister), Tobias Bonn (alias Toni Pfister) und Andreja Schneider (alias Fräulein Schneider) sich diese Genres dabei zu eigen gemacht – und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Barry Kosky die drei in eine Produktion holte. Sie bringen jenen augenzwinkernden Charme mit, der die Vorlage nicht verrät, sondern sie im Grunde ernst nimmt und gerade dadurch große komische und vor allem immer wieder selbstironische Effekte erzielt. Christoph Marti gibt die Clivia als Travestierolle – und ist dabei eine grandiose Diva, vom Rededuktus, über die Bewegungen bis hin zur Gangart. Eine Film- und Operettendiva von der blondierten Lilian Harvey-Perücke bis zur Zehenspitze. Dabei imitiert er nicht ein Vorbild, sondern ist die Summe vieler gut beobachteter Details. Das Ganze ist so perfekt und so wenig anbiedernde Tuntentravestie, dass die Frage, ob hier Mann oder Frau im Kostüm steckt, zur Nebensache wird. Unwiderstehlich! Tobias Bonn darf mit seiner gelungenen Imitation eines Operettenschmachttenors den südländischen Liebhaber, Gaucho und Präsidenten geben, mit Clarke-Gable-Bart und Douglas Fairbanks jr.-Charme. Und Andreja Schneider schließlich ist als Anführerin einer knallblauen, langbeinigen Frauenarmee die Amazone, drall und dominant. Dass all das so brillant funktioniert, dass die nicht klassisch ausgebildeten Stimmen tragen und die ursprüngliche Koloraturpartie der Clivia bei Christoph Marti bestens aufgehoben ist, liegt am gelungenen musikalischen Konzept mit den fabelhaften Arrangements von Kai Tietje, der den Abend auch souverän und mit Gespür für die Situation dirigiert. Es ist nämlich gelungen, für alle Akteure einen einheitlichen Chanson- und Schlagerstil zu finden, der historisch fundiert ist und (übrigens wie damals auch) auf die spezifischen vokalen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Akteure eingeht. So wird jede Nummer zu recht umjubelt, denn jeder weiß hier, was er kann und was er nicht kann. Das gilt auch für den Schauspieler Stefan Kurt, der als E. W. Potterton einen ebenso reichen wie zwielichtigen Amerikaner mimen darf, der einen Putsch im südamerikanischen Operettenstaat Boliguay anzettelt und dafür zur Tarnung einen Spielfilm mit dem Star Clivia Gray drehen will. Doch die platte Operettenhandlung ist wirklich Nebensache an diesem Abend (wie eigentlich auch die nicht unbedingt immer erstklassige Musik Dostals). Hier geht es darum, Anlässe für große Revuenummern, für Starauftritte, Liebesduette, komische Nummern und große Ensembles zu generieren. Und das verstand Dostal, der als Theaterkapellmeister, als Filmkomponist und als Arrangeur etwa Oscar Straus', Lehárs, Kollos und anderer reichlich Erfahrung hatte. Den dramaturgischen Gesetzen der klassischen Operette gehorcht hier ohnehin nichts mehr. Es gilt dem Moment, der Show. Nicht einmal die Atmosphäre setzenden, südamerikanischen Rhythmen von Tango oder Paso doble sind echt, kommen sie doch in ihrer europäisierten Form von Modetänzen daher, was seinen ironischen Höhepunkt in einem von Kastagnetten begleiteten Walzer findet. Alles ist Show und Schein und hat gerade deswegen seine Wirkung. Und gerade auch deswegen ist die Besetzung der Titelpartie mit Christoph Marti ein so gelungener Coup. Es geht auch hier um Schauwert und eine Form von Exotismus, jedoch genauso um künstlerische Perfektion und großes Entertainment. Die Berliner Operette hatte sich 1933 als Genre der Revue und dem aufkommenden Tonfilm angenähert, der Schlager und die Modetänze dominierten. Alles war erlaubt, was gefiel. Der musicaleerfahrene Stefan Huber hat dieses Vergnügen treffsicher mit viel Tempo und großen Szenen-Bildern inszeniert. Jedes Rädchen greift hier ins nächste, es gibt keine Sekunde Leerlauf, selbst der Umbau zum zweiten Akt ist phantastisch. Die Ironie schaut aus jeder Ritze, die Dialoge sitzen wie in der besten screewball comedy. Das zeigt sich besonders bei Peter Renz, der als viel sprechender Sensationsreporter einmal mehr eine gute Komödien-Figur macht und so ganz nebenbei auch noch zeigt, dass ein überzeugender Buffotenor kein Jüngling sein muss. Oder bei den Episoden des reisenden Berliners, dessen Strophen und Dialogabsurditäten Christoph Späth punktgenau serviert. Bis in die kleinen Rollen hinein ist diese Produktion ideal besetzt. Kein dümmlicher Aktualisierungsversuch oder herbei philosophierter Tiefgang, der das Stück ohnehin nicht tragen würde, stört den bewusst klischeehaften Nonsens der Komödie, die sich schon 1933 selbst nicht ernst nahm. Wenn man die Szenen ausspielt, entwickeln sie durch die historische Distanz ganz von selbst Spielarten von Ironie und Witz, ohne das Stück zu verraten. Da bedarf es dann nur ein, zwei klug gesetzter Akzente und das Haus bricht in Lachstürme aus und tobt vor Begeisterung, wie im famosen Liebesduett vor Schwanenskulpturen oder den Auftritten Clivias über die Showtreppen. Der Abend wäre nur halb so gut ohne Danny Costellos stilsichere Choreographien, die in den hier endlich einmal nicht gestrichenen Nachtänzen ebenso phantasievoll wie prächtig die Aura der großen Ufa-Revuen heraufbeschwören und Jubelorkane auslösen, woran freilich auch Heike Seidlers farbenprächtiges, reiches Kostümbild ihren Anteil hat. Oder Stephan Prattes Bühne, die vom gemalten Paramountgipfel über die südamerikanische Pappmachekulisse bis hin zum spektakulär auf der Drehbühne hereingefahrenen Orchester und vielem mehr stets erneut überrascht. Ein großes Lob gebührt schließlich auch dem so wandelbaren Chor und Orchester des Hauses, die swingen und jazzen, tanzen und schwelgen, dass es eine wahre Freude ist. Hier scheint jeder Spaß zu haben, auf der Bühne, wie im Publikum."




Karin Coper, www.opernnetz.de

"(...) Ist schon das Lesen des Inhalts ein Spaß, so entwickelt sich die Inszenierung Stefan Hubers zum Totalvergnügen. Überbordend von Fantasie reizt der Regisseur alle Möglichkeiten des Stückes aus und verpasst ihm eine treffsichere Mischung aus Revueglamour, Witz, frechem Charme und überhöhtem Unsinn. Dazu liefert Stephan Prattes ein Bühnenbild, das vor schierer Opulenz optisch überwältigt. Zu Beginn befindet man sich in einem pittoresken Grenzdörfchen mit Saloon und Bilderbuchfinca sowie dem Anden-Massiv im Hintergrund. Der zweite Akt überrumpelt mit einem rotierenden Ballsaal, der gleich zwei imposante, mit riesigen Kitschblüten geschmückte Showtreppen bietet, auf denen das Orchester in Big Band-Manier spektakulär postiert ist. (...) Ein ausverkauftes Haus, ständiger Szenenbeifall, Bravos, Riesenjubel am Ende – und viele strahlende Gesichter. Eine solche Clivia macht eben gute Laune."




Ingrid Wanja, Der Opernfreund

Die Operette lebt „Die Zuschauer vergessen hoffentlich nach fünf Minuten, dass die Frau von einem Mann gespielt wird“, meint Tobias Bonn, eine der Komponenten der Schweizer Geschwister Pfister und Darsteller der Titelfigur, in einem im Programmheft zu Nico Dostals „Clivia“ abgedruckten Gespräch und liegt damit völlig falsch. Gerade weil er unüberseh- und hörbar das gesamte Stück hindurch auch im Bewusstsein der Zuschauer ein Mann bleibt, ist die Aufführung dieser Operette, die am 23.12. 1933 in Berlin uraufgeführt wurde, in dieser alle Operettenmerkmale ausreizenden, wenn nicht übertreibenden Form möglich und kann den überwältigenden Erfolg haben, den sie bei ihrer Premiere in der Komischen Oper am 8.3. einfuhr. Nur weil laufend überspitzt und gleichzeitig konterkariert wird, können die künstlichen Blumen so herrlich leuchten und ihre Staubgefäße sich wiegen, gleich zwei Riesentreppen die Diva hinunterschweben , die Gauchos lateinamerikanisches Temperament, die Amis schnöde Geldsucht, der Berliner eine Kodderschnauzigkeit zeigen und die Liebespaare ihren sentimentalen Gefühlen freien Lauf lassen, weil die Diva eine herbe Männerstimme hat, das Buffopaar aus Alters- wie Beleibtheitsgründen tanzen lässt statt sich selbst im Tango zu wiegen, die Klischees so auf die Spitze getrieben werden, dass ihnen niemand mehr auf den Leim geht oder peinlich von ihnen berührt ist. Und trotzdem oder gerade deswegen wirken das Stück, seine Darsteller und die Bühne sympathisch, die Musik mitreißend, und der begeisterte Zuschauer hat nicht das Gefühl, ein schlechtes Gewissen aufbringen zu müssen, weil er etwas nicht der Beachtung Würdigem aufgesessen ist, sondern freut sich darüber, dass die Operette lebt. Die Geschichte ist so haarsträubend, dass sie geradezu nach Parodie oder zumindest Ironie im Umgang mit ihr schreit. Ein amerikanischer Filmproduzent und Unternehmer will in einem lateinamerikanischen Phantasieland seine finanziellen Interessen gegenüber der revolutionären Regierung wahren und gibt vor, mit dem Star Clivia dort einen Film drehen zu wollen. Der in einem Gaucho gefundene Ersatz für den abhanden gekommenen Hauptdarsteller soll, damit man eine Arbeitserlaubnis in Boliguay bekommt, Clivia durch Heirat zur Staatsbürgerin des Landes machen. Alles kommt anders, als der Produzent dachte, das Ehepaar verliebt sich ineinander, der Gaucho entpuppt sich als Revolutionsführer, es gibt viele Missverständnisse und schließlich ein für das Liebespaar und das Buffopaar, Cousine des Revolutionärs und einen amerikanischen Reporter, ein glückliches Ende, an dem alle, ob Toreros, Soldatinnen, Filmcrew und was sich sonst noch auf der Bühne tummelt, temperamentvollen Anteil nehmen. So überzeugend wie der ironisierende Ansatz ist die Umsetzung auf der Bühne in allen ihren Bereichen. Stefan Huber hat als Regisseur die zugleich leichte und entschlossen zupackende Hand für das Genre, wandelt sicher auf dem schmalen Grat zwischen Sentimentalität und Groteske, ohne sich je den Abgründen Schwulst oder beißende Satire zu nähern. Er vereint Leichtigkeit und Biss miteinander, und für das große Gefühl sorgt die Musik. Eine phantastische Bühne stammt von Stephan Prattes, der die gute alte Kulissenmalerei wieder zu ihrem recht kommen lässt, auch den revuehaften Zügen des Stücks mit Showtreppen und dem Orchester auf der Drehbühne gerecht wird. Begeistert wird der Chor über die eleganten Kostüme von Heike Seidler gewesen sein, mit wundervollen schwarzen Roben für die Damen, die in früheren Zeiten allzu oft in schäbiger Trashgewandung aus der Altkleidersammlung auftreten mussten. Man guckt wieder gern auf die Bühne der Komischen Oper! Frech und schmissig ist, was die Tänzer in der Choreographie von Danny Costello zeigen, seinem guten Ruf alle Ehre macht der einsatzfreudige Chor unter David Cavelius. Fetzig, in Rubati schmachtend oder elegant-geschmeidig spielt das Orchester unter Kai Tietje, der auch Solist mit dem Bandeon ist. Die Geschwister Pfister, seit ihren regelmäßigen Auftritten in der Bar jeder Vernunft oder im Tipi längst Lieblinge des Berliner Publikums, wovon die Auftrittsapplause zeugten, hatten die Hauptrollen unter sich aufgeteilt. Christoph Marti ist wie seine „Geschwister“ kein Opern- oder Operettensänger, was man am Sitz der Stimme und an Problemen mit der Höhe merken konnte. Das tat der Freude am Auftritt der drei keinen Abbruch, denn die vokalen Unvollkommenheiten passen zur Regiekonzeption. Diese Clivia von imposantem Wuchs und männlicher Stimme rettet die Aufführung von einem Abgleiten ins Kitschige, so wie Yola von Andreja Schneider nicht das süße Diwanpüppchen von Soubrette ist, sondern eine so beherzte wie komische Dame mittleren Alters. Zu ihr passt als „echter“ Opernsänger Peter Renz als verliebter Reporter mit stämmigem Tenor. Bei der Uraufführung war Erik Ode in dieser Rolle zu sehen gewesen. Als dritter der Pfister-Geschwister ist Tobias Bonn der Revolutionär Juan Damigo mit robustem Charme und durchdringender Stimme. Nicht verschwiegen werden sollte, dass alle Solisten akustisch verstärkt wurden. Eine herrliche Charakterstudie gelingt Stefan Kurt als schmierigem Geschäftsmann Potterton. Christoph Späth lässt als Gustav Kasulke hören, was ein echter Opernsänger und ebensolcher Berliner ist, eine heute, was seinen Dialekt betrifft, fast ausgestorbene Spezies. Auch die kleineren Rollen sindn typgerecht besetzt – und alle haben sichtbar großen Spaß am quirligen, atemlosen, das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißenden Spiel.




Ralf Döring, Neue Osnabrücker Zeitung

Berlin hat ein Herz für die Operette: „Clivia“ von Nico Dostal wurde bei der Premiere in der Komischen Oper wie ein Jahrhundertereignis bejubelt (...) Man muss sich schon einiges einfallen lassen, soll eine Operette zum gesellschaftlichen Top-Ereignis werden. Im Falle der „Clivia“ hat das geklappt, der Promi-Auflauf in der Komischen Oper nimmt es locker mit den Bayreuther Festspielen auf, ist nur um einiges pittoresker. Wir sind ja auch in Berlin. (...)Eigentlich muss Regisseur Stefan Huber kaum etwas zu Dostal hinzuerfinden. „Clivia“ mischt Operettenschmelz mit Jazz und Revue, und genau das zeigt Huber. In einem Filmset an der Grenze zum südamerikanischen Fantasieland Boliguay dreht eine Truppe um die amerikanische Filmdiva Clivia, allerdings nur zum Schein: Für den Finanzhai E.W. Potterton (im Zigarren-Nebel: Stefan Kurt) ist der Film nur Vehikel, um eine Revolution in Boliguay in seinem Sinne umzubiegen. Um dort arbeiten zu können, heiratet Clivia einen Gaucho namens Juan, doch die Scheinehe wird zur großen Liebe. Schließlich haben die Librettisten Charles Amberg und Franz Maregg bühnenwirksamen Schnickschnack hinzuerfunden: Der Journalist Lelio Down (Tenor Peter Renz) treibt sogar gelegentlich die Handlung weiter, während der Erfinder Gustav („Justaff“) Kasulke einzig den Bühnenberliner auf der Bühne verkörpert. Bunt und laut geht es zu; zunächst auf dem Filmset, dann im Ballsaal mit Showtreppe (Bühne: Stephan Prattes) und den Musikern der Komischen Oper als Revueorchester – Kai Tietje hat die Musik neu arrangiert und lässt das Orchester fluffig swingen. So macht Huber im Prinzip nichts anderes, als ein Stück Unterhaltung auf die Bühne zu bringen, wie unsere Großeltern es geliebt hätten, mit viel Tanz (Choreografie: Danny Costello), südamerikanischem und jazzigem Einschlag und vielen Ohrwürmern. Doch trällert nicht eine Sopranistin die egozentrischen, später schmachtenden Arien der Clivia Gray, sondern Christoph Marti („Ursli Pfister“) stellt sie als blondierte Dragqueen à la Garbo und Dietrich auf ein näselnd baritonales Fundament. Davon ausgehend überzeichnet Huber das Stück mit den Mitteln der Travestie und natürlich mithilfe der beiden anderen Geschwister Pfister: mit Tobias Bonn als Revolutionsführer Juan und Andreja Schneider als Amazonenführerin Yola (...)




Bernd Hoppe, www.operalounge.de

" (...) Ein weiteres Glied in der anhaltenden Erfolgskette der Komischen Oper ist deren Neuproduktion von Nico Dostals Clivia. Das Premierenpublikum am 8. 3. feierte das gesamte Team enthusiastisch, und schon jetzt darf man der Aufführung viele ausverkaufte Vorstellungen prophezeien. Der im Musical erfahrene RegisseurStefan Huber hatte für die 1933 in Berlin uraufgeführte Operette die nötige leichte Hand und kam der schrägen Geschichte mit gebotener ironischer Brechung und parodistischem Zugriff bei. Denn die abstruse Handlung um den amerikanischen Industriellen Potterton, der im Phantasieland Boliguay einen Film mit seinem Star Clivia Gray drehen will, dafür aber eine Arbeitserlaubnis braucht, die er durch eine Scheinehe der Diva mit dem boliguayanischen Gaucho Juan Damigo erhofft, ist natürlich nur ein Vehikel für die attraktive Mixtur aus Hollywood-Glamour, südamerikanischem Temperament, fetzigen Tanznummern, nostalgischem Revue-Flair und Berliner Schnoddrigkeit. Das bedient Stephan Prattes’ Bühne in reichem Maße, liefert für die Eingangsszene des Stückes, in der eine Filmsequenz mit einer handfesten Schlägerei gedreht werden soll, eine herrliche Kitschkulisse mit Taverne, Palmen, Sonnenblumen und einem hinteren Paramount-Gebirgsmassiv. Danach gibt es einen opulenten Ball mit dem ansteigend positionierten Salonorchester auf der Drehbühne, doppelseitiger Showtreppe, riesigen gold glitzernden Lilienblüten und einem Schwanenpaar aus dem Märchenland. Auch Heike Seidler gesteht mit schwarzen Abendroben für den Chor, folkloristischen Kostümen für Tänzer und Statisten sowie raffinierten Kreationen für die Protagonistin dem Genre den gebotenen Show-Wert zu. Und da ist Danny Costellos umwerfend schmissige und phantasievolle Choreografie, die der Amazonen-Armee in kurzen blauen Uniform-Röckchen unter Führung der resoluten Yola mehrere effektvolle Auftritte einräumt, große Gesangstitel in schwelgerische Tanzduette übergehen lässt und selbstverständlich nicht spart an regionaler wie exotischer Atmosphäre mit Tango, Flamenco, Kastagnettenwirbel, Torero-Auftritten. Kai Tietje serviert mit dem Orchester der Komischen Oper die Musik in einem eigenen Arrangement mit Tempo, Schwung und dem richtigen Feeling für die Modetänze der Zeit, gewährt ihr aber auch eine gehörige Portion von nostalgischer Sentimentalität und Seligkeit. Glänzend wie stets sind die Chorsolisten der Komischen Oper (Einstudierung: David Cavelius) in ihren turbulenten Szenen und dem klangvollen Gesang in „Man spricht heut nur noch von Clivia“ und „Traumschön ist die Nacht“. Die Attraktion des Abends ist die Besetzung, denn erstmals standen die aus der Bar jeder Vernunft bekannten Geschwister Pfister auf einer Berliner Opernbühne. Christoph Marti, dessen erstes Lied „Mit der pünktlichen Verspätung einer Diva komm ich her“ im stürmischen Auftrittsapplaus fast untergeht, bringt für die Titelrolle eine blendende Erscheinung, körperliche Gewandtheit und das Pathos der Stummfilm-Ära mit. Wie er in blonder Perücke und großer Robe mit Rüschen und Puffärmeln die steile Revuetreppe herabschwebt, ist ein Ereignis und erinnert an berühmte Filmdiven von Marlene Dietrich über Jean Harlow bis Marilyn Monroe. Für die gesangliche Leistung darf man historische Aufnahmen legendärer Interpretinnen als Vergleich nicht heranziehen, denn die Partie ist transponiert für einen Bariton. Marti singt sie mit Diseusen-Sprechgesang, gelegentlich auch mal plärrend, macht das aber durch seinen Charme, die Koketterie und sinnliche Aura wett. Und er verzichtet auf jeden lasziven Travestie-Beigeschmack. Das berühmte „Ich bin verliebt“ bringt er mit großem Raffinement zu Gehör und liefert am Ende noch ein gekonntes Pfeifsolo nach. Viel mehr Singstimme, nämlich einen veritablen Operettentenor mit herrlich nostalgischem Timbre, lässt Tobias Bonn als Juan hören, der in Wirklichkeit der verkleidete Revolutionsführer in Boliguay ist. Nur in einigen exponierten Noten stößt der Interpret an Grenzen, was kaum stört, kann man sich doch an seinen charmant und mit melancholischem Gefühl servierten Titeln, wie „Irgendwo auf der Welt“, „Wunderbar“ oder „Dich hab ich von ganzem Herzen geliebt“, erfreuen. Preisverdächtig ist seine elegant und schwungvoll hingelegte Tanznummer mit Clivia im Ballsaal. Sorgfältig und typgerecht besetzt sind auch die weiteren Rollen, die Stefan Kurt als Potterton anführt. Der Finanzmann aus Chicago sieht seine wirtschaftliche Position in Südamerika durch die revolutionären Bestrebungen im Land gefährdet. In Wahrheit ist der von ihm geplante Film nur ein Vorwand, die neue Regierung zu stürzen, was die Filmcrew natürlich nicht weiß. Kurt gibt die Figur mit viel Charisma in einer Mischung aus schmierigem Mafia-Boss und gewandtem Entertainer, singt seine Titel („I see the stars“) hinreißend mit rauchiger Whiskey-Stimme. Das Buffo-Paar des Stückes sind Andreja Schneider als toughe Yola und der in Stimme und Spiel wie stets präsente Peter Renz als aufgedrehter Lelio, der als Reporter der Chicago Times stets zur Stelle ist, um die erhoffte „fabelhafte Reportage“ in den Kasten zu bekommen. Ihm fallen die Ohrwürmer „Süßes kleines Fräulein“ und „Sie sind mir so sympathisch“ zu, die er mit sympathischem und vor allem idiomatischem Operettenton singt und dabei von Yola assistiert wird. Beider Duett „Wonderful Girl“ – eine Schlager-Komposition Dostals von 1927, die vom Dirigenten eingefügt wurde –, geht in eine flotte Ballettnummer über, bei der ein Dutzend Yola/Lelio-Doubles mitwirkt. Die schnoddrige Berliner Schnauze steuert der blendend aufgelegte Christoph Späth als Gustav Kasulke bei, der die von ihm erfundene Schlafmaschine „Pennewohl“ an den Mann bringen will und gleich nach seiner Ankunft Molle und Weiße mit Schuss verlangt. Dem großen Finale mit allen Solisten sowie Chor und Ballett, wo alle musikalischen Hits des Stückes noch einmal anklingen, folgt eine Publikumseuphorie ohnegleichen. Und auf dem Heimweg hat man noch immer Dostals bezaubernde Melodien im Ohr.




Manuel Brug, Die Welt

"...Clivia, das ist die schöne Clivia Gray, eine amerikanische Filmschauspielerin, die in falsche Dreharbeiten, eine Verkleidungsliebesgeschichte, einen Wirtschaftskrimi sowie die fehlgeschlagene Revolution in der Bananenrepublik Boliguay gerät. Natürlich hätte man diesen vor Temperament sprühenden Feuertopf eines südamerikanisch verkleideten Operettenthemenmix, der uns mit seinen Tangos, Paso Dobles und Boleros freilich eher spanisch klingend vorkommt, aktuell betroffenheitspolitisch aufpeppen können. Oder historisch-nazikritisch durchleuchten. Aber Regisseur Stefan Huber frönt hier einzig dem gekonnt und unglaublich hochprofessionell in Szene gesetzten Eskapismus. Der schnurrt so präzise wie originell ab, ist eine strahlende Fantasie aus Drehbühne, Showtreppen, monströsen Glimmerblüten, Wolkenstores, Plastikschwänen, Comic-Hacienda, Bombenatrappe und golden lackiertem Panzer. Da zappeln zackig die Toreros zum "Am Manzanares ist weibliche Tugend was Rares"-Walzer, der seit dem "Weißen Rössl" obligatorische Bouletten-Berliner (Christoph Späth) treibt sein Pointen-Unwesen, ebenso der pfiffige Reporter-Buffo (Peter Renz). Die Gauchos peitschen sich durch die grellgemalte Bergpanorama-Pampa, und eine Amazonenarmee, angeführt von ihrer graziös dampfwalzigen Majorinnen-Wuchtbrumme (Andreja Schneider), nimmt die Kerle aufs Korn. Mit Peter-Frankenfeld-Pep Danny Costello lässt die Ballettpuppen prachtvoll tanzen, Dirigent Kai Tietje hat das gemütvoll generös swingend, aber auch mit Peter-Frankenfeld-Pep arrangiert. Wie sich überhaupt, fährt das grandios aufspielende große Tanz- und Unterhaltungsorchester der Komischen Oper auf seiner Drehtribüne herein, so mancher in einer TV-Samstagabendshow der Siebzigerjahre wiederfinden mag. Und deshalb ist die Inszenierung auch eine einzige Hommage an die Berliner Comedytruppe Geschwister Pfister und jene von ihnen immer wieder konsequent gepflegte BRD-Schlagerästhetik. Aber mehr noch, sie ist die Apotheose des Ursli Pfister alias Christoph Marti, der seit 20 Jahren in wechselnden Verkleidungen auf genau diese, hyperkünstliche Rolle als vollsynthetische Operettendiva hingearbeitet hat. Pflegt doch der Schweizer Schauspieler, Sänger und Tänzer schon seine ganze Karriere über eine variantenreiche Bühnenkunstfigurenexistenz als Dr. Jekyll mit vielen Mrs. Hydes. Denn dem schwulen Ursli Pfister stehen Ursula West, the Daughter of Country, die böse Königin, Dolly Levi, Mireille Matthieu, ein Kessler-Zwilling, auch bereits das Zwitterwesen Zaza/Albin und die Csardasfürstin Sylva Varescu gegenüber. Und nun endlich Clivia Grey. Ein Mix aus Gisela Schlüter und Evita Perón Sie gerät zur perfekten Mischung aus Gisela Schlüter und Evita Perón, Marika Rökk und Betty Grable. Sie bewegt sich staksig wie die Puppe Olympia, singt in schnarriger Baritonlage und steht dabei trotzdem niemals unter Drag-Queen-Verdacht. Sie/er ist einfach, was er/sie ist, und das ist kein Geheimnis: ein Astralwesen from Outer-Operetta-Space. Es ist aber auch gar nicht wichtig. Weil sich sowieso nichts wichtig nimmt, das aber mit wundervoller Entertainment-Akkuratesse geschieht. Und weil, wie in einem Musterbuch der Berliner Revue-Operette, verloren geglaubte Darstellungsstile zu bewundern sind. Die Kabarett-Sidekicks, der Buffo, die stramme Soubrette, der Dialektkomiker, nicht zu vergessen der singende Schauspieler des fantastischen, abgründig irren Stefan Kurt als skrupelloser Investor am Rande des Foxtrott-Zusammenbruchs. Und natürlich der schmalzig-schmelzende Tenorino, herzig, fesch, nur echt mit dem Tremoloknödel – wie er in dem vokal immer stärkeren Tobias Bonn als Revoluzzerpräsident Juan seine ideale Auspägung findet. Hier ist nicht nur die Diva sehr Ohrwurm-verliebt. Hier fliegen wirklich alle auf die aseptisch schöne Clivia als Großfürstin der nur ein ganz bisschen braunstichigen Latino-Operette – und ihren Käfig voller Kastagnetten rasselnder Boliguay-Narren."