Theater Baden-Baden


Premiere: 25.03.2017 | Schauspiel

Tartuffe

Molière - Deutsch von Rainer Kohlmayer

Stückinfo

Orgons Familie ist sich sicher: Tartuffe ist ein Betrüger. Das Problem aber: Orgon will nichts davon wissen. Der scheinbar tief religiöse Tartuffe, dessen soziale Herkunft völlig ungewiss ist, genießt die uneingeschränkte Zuneigung des Hausherrn. Der hält die Einwände seiner Lieben für schnöden Neid und falschen Stolz: Tartuffe maßregelt die Familienmitglieder und fordert religiöse Sittsamkeit – natürlich passt ihnen das nicht, denkt Orgon. Er und seine noch naivere Mutter müssen es mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören, bevor sie Tartuffes wahre Gesinnung erkennen – und da ist es fast schon zu spät! Tartuffe ist in Besitz von heiklen Dokumenten, die Orgon ins Gefängnis bringen könnten. Nun kann nur noch die Staatsgewalt helfen. TARTUFFE ist eine der beliebtesten Komödien Molières und ein Dauerbrenner auf den Bühnen weltweit. Kaum zu glauben, dass Kleriker seiner Zeit darin eine blasphemische Unverschämtheit sahen und ein Aufführungsverbot erwirkten. Zweimal überarbeitete Molière das Stück und nur mithilfe Ludwigs XIV. höchstpersönlich entging TARTUFFE in seiner dritten Version 1669 der Zensur. (Text: Theater Baden-Baden)

Kreativteam

Inszenierung: Stefan Huber
Bühnenbild: Timo Dentler/Okarina Peter
Kostüme: Timo Dentler und Okarina Peter
Dramaturgie: Kekke Schmidt
Dramaturgie: Kekke Schmidt

Cast

Stephanie Brehme, Sergej Czepurnyi, Max Gertsch, Oliver Jacobs, Catharina Kottmeier, Michael Laricchia, Dimetrio-Giovanni Rupp, Maria Thomas, Constanze Weinig, Berth Wesselmann

Szenenfotos

Video






Pressestimmen

Gisela Brüning, Badisches Tagblatt

"Neu auf der Bühne des Theaters Baden-Baden: "Tartuffe". Da sagt sich so mancher etablierte Bildungsbürger: "Kenn' ich doch. Den alten Schinken von Molière (1622-1673) hab' ich - ebenso wie den "Geizigen" und den "Eingebildeten Kranken" - schon mehrfach gesehen..." Einspruch! Den "Tartuffe", den Stefan Huber auf die Familie Orgon und das Baden-Badener Publikum loslässt, kannte bis jetzt niemand. Aber das sollte sich bald ändern, denn die Mund-zu-Mund-Propaganda nach der umjubelten Premiere dürfte nicht folgenlos bleiben. Der Schweizer Stefan Huber genießt nicht nur im In- und Ausland den Ruf eines ausgezeichneten Musical-Regisseurs, der auch auf weiteren Feldern des Showbiz' erfolgreich wirkt, er hat auch in Baden-Baden etlichen Inszenierungen seine Handschrift aufgedrückt. Besonders in Erinnerung dürfte wohl die Aufführung "Rot" von John Logan geblieben sein. Damals spielte Berth Wesselmann den exzentrischen Künstler Mark Rothko, diesmal mutiert er zur exzentrischen Alten, die so viele Haare auf den Zähnen hat, dass sich schon eine Girlande ums Kinn bildet. (Kostüme und Bühne Okarina Peter und Timo Dentler) Noch bevor sich Tartuffe, Grund familiärer Zerwürfnisse, blicken lässt, der das Familienleben des Bürgers Orgon auf den Kopf stellt und dessen Einfluss selbst das schmucke Eigenheim umkrempelt, rätselt die Sippe über den verblendeten und von Tartuffes Scheinheiligkeit gefangenen Vater, Ehemann und Schwager Orgon, dem Oliver Jacobs mit frömmelnder Hingabe vergeblich autoritäre Züge gegenüber der rebellierenden Familie abzuringen sucht. "Wie kann ein Mann denn heut' in der modernen Welt, sich so verhexen lassen?" Das ist die Frage, und offensichtlich waren die Probleme irregeleiteter Fanatiker im 17. Jahrhundert von ähnlicher Qualität wie die heutigen. Dann betritt der Mann, "der's (angeblich) mit dem Himmel hat", die Szenerie. Den lässt Stefan Huber nicht als schmierigen Prediger linkisch anschleichen. Der Tartuffe in Person des Michael Laricchia ähnelt eher Alain Delon in der Rolle des "talentierten Tom Ripley", dem man keineswegs zölibatäre Ambitionen unterstellen würde. Diese stimmige Version eines geistigen Verführers lässt sich nach heutigen Kriterien durchaus nachvollziehen. Anders als während der Entstehungszeit der Komödie, da noch das Leben der Menschen von klerikaler Macht reglementiert wurde, wirken heute andere Mechanismen auf jene, die nach ihrer Fasson selig werden können, und die bisweilen bizarre Wege dafür einschlagen. Der eher schlichten Handlung des Dramas setzt Regisseur Huber höchst amüsante Glanzlichter auf, die mit Witz und Ironie, intelligenten Slapsticks und Pikanterie punkten, aber nie die Grenzen des Geschmacks verletzen. Es darf gelacht werden, und das lässt sich gar nicht vermeiden, wenn beispielsweise Catharina Kottmeier als resolute Mamsell Dorine, die das Herz nicht nur auf der Zunge trägt, sondern auch in zwei überquellenden Dampfnudeln, den Durchblick wahrt. Das Textbuch, das ausschweifende Reden zugunsten knackig hin und her fliegender Dialoge in geschliffenen Alexandrinern straffte, riskiert am Ende eine Volte der bekannten Handlung, die verblüfft. Wo Molière noch einen Deus ex machina bemühte, um König und Kirche mit einer glücklichen Fügung der Ereignisse milde zu stimmen, bedarf es bei Huber solcher Trostpflaster nicht. Die Realität, die irrigerweise in Politikern wie Trump oder, oder, oder... als witzig belächelt wird, könnte durchaus auch bitterböse Züge annehmen. Solange aber noch Constanze Weinig als sektselige Elmire ihre Reize ausspielt, Tochter Maria Thomas, Sohn Dimetrio-Giovanni Rupp, Schwager Cléante (Max Gertsch)und weitere Angehörige nach Art der "Comédie Française" eine tragikomische Schicksalsgemeinschaft bilden, der Gerichtsvollzieher Stephanie Brehme das buchstäblich dicke Ende beschert, muss Theater seinem meinungsbildenden, aufklärenden und im besten Sinne unterhaltenden Auftrag gerecht werden."

[ Weitere Pressestimmen... ]




Andreas Jüttner, Badische Neueste Nachrichten

"Die Folgen des Faktenleugnens. Komödie mit Denkanstößen: „Tartuffe“am Theater Baden-Baden. Werden die Menschen klüger? Nun ja: In Molières Komödie „Tartuffe“, vor knapp 350 Jahren uraufgeführt, muss sich der titelgebende Betrüger noch kunstvoll verstellen – etwa indem er auf berechtigte Vorwürfe mit derart selbstgeißelnder Zerknirschung reagiert, dass seine Ankläger wie hinterhältige Hetzer wirken, die einen armen Ehrenmann aus purem Neid verleumden. Heutzutage müsste er wohl nur „FAKE NEWS!“twittern oder „Lügenpresse!“schreien, um sich die Treue seiner Gefolgschaft zu sichern. Wobei die Gefolgschaft im Fall dieses Stücks vor allem aus einem Mann besteht: dem wohlhabenden Orgon, der fest davon überzeugt ist, den Pfad der Tugend zu beschreiten, indem er den Tagedieb Tartuffe in seinem Haus nicht nur durchfüttert, sondern ihm auch seine Tochter zur Frau geben und sogar sein ganzes Hab und Gut überschreiben will. Kein Argument seiner zunehmend verzweifelten Familie bringt ihn davon ab – bis er endlich mit eigenen Augen sieht, wie hemmungslos seiner Frau Elmire von dem angeblich so gottesfürchtigen Tartuffe nachgestellt wird. Doch da hat Orgon den Heuchler schon zu hoch erhoben, um ihn einfach loswerden können. Stefan Hubers Neuinszenierung dieses Klassikers am Theater Baden-Baden überzeugt nicht zuletzt dadurch, dass sie auf Bezüge zwischen dem alten Stück und aktuellen populistischen Auswüchsen mit keinerlei Anspielung hinweist, sondern die Komödie einfach Komödie sein lässt. Denn so wird die selbstzerstörerische Borniertheit des Faktenleugnens als zeitlos drohende Schwäche der menschlichen Natur erkennbar. Zumal es sich die darstellerisch starke Aufführung auch verkneift, Orgon als blinden Deppen zu zeigen: Oliver Jacobs spielt ihn überzeugend als von der eigenen Vernunft überzeugten Wohltäter, den es aufrichtig betrübt, die Tugend gegenüber seiner Familie nur mit Zwang durchzusetzen zu können. Da hat er mehr Skrupel als seine verbohrte alte Mutter – eine Rolle, die Altmeister Berth Wesselmann zum Kabinettstückchen verehrungswürdiger Komik macht. Warum Orgon sich Tartuffe zuwendet, dessen mephistophelische Aasigkeit Michael Lariccia erst allmählich entfaltet, zeigt sich in dem Gegensatz, den Orgons Familie zu dem angeblichen Asketen bildet: Gattin Ermile (Constanze Weinig) schlendert als freizügig-trinkfreudiges Luxusweibchen einher, Sohn Damis (Dimetrio-Giovanni Rupp) steckt bis unter die Baseballkappe voller wutstrotzendem Testosteron und Töchterchen Mariane (Maria Thomas) fällt außerhalb der Whatsapp-Flirts mit ihrem Schwarm Valère (Sergej Czepurnyi) vor allem durch großäugige Ratlosigkeit auf. Ohne die patente Bedienstete Dorine (Catharina Kottmeier mit trockenem Humor) wäre die ganze Sippschaft wohl noch mehr in Schräglage als ihr bereits umgekipptes Haus (grandiose Ausstattung: Timo Dentler und Okarina Peter), das am Schluss ganz auf den Kopf gestellt wird und nach oben entschwebt, während die zurückbleibende Familie mit den Folgen von Orgons Verblendung leben muss. Dank solcher Denkanstöße ist dieser knapp zweistündige Theaterabend nicht nur sehr unterhaltsam, sondern macht sogar ein bisschen – na ja, vielleicht nicht gleich klüger, aber aufmerksamer."