Theater Heilbronn


Premiere: 5.03.2022 | Musikalische Revue

Born To Be Wild?

Kai Tietje/Stefan Huber
UA

Stückinfo

Mario Hetzdorf, Aufnahmeleiter der TV-Show »Mit Musik geht alles besser!«, ist ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs: Gleich startet die Live-Sendung mit dem allseits beliebten Moderator und Entertainer Vico von Kulenburg, aber drei Musiker des Orchesters sind nicht da. Ist es wirklich eine gute Idee, einfach Gitarre, Bass und Schlagzeug der eingeladenen Rockband als Ersatz zu nehmen? Ausgerechnet jetzt proben Regievolontär Benno Leichtfuß und einige Gaststars den Aufstand, ganz zu schweigen von den nicht ganz legalen Substanzen, die im Backstage-Bereich die Runde machen. Geht mit Musik wirklich alles besser, und kann Vico die Show irgendwie doch noch zu einem (be-)rauschenden Finale bringen? Nach seinen großen Beatles-Abenden »A Day on Abbey Road« und »White!« arbeitet Regisseur Stefan Huber wieder am Theater Heilbronn. In »Born to Be Wild?« nehmen er und Kai Tietje uns mit auf eine musikalische Reise durch unruhige Zeiten, konfrontieren ein Orchester mit einer Rockband, Rock’n’Roll mit Schlager, Beat mit Swing. Dabei zeigen sie en passant mit einem achtköpfigen Ensemble und 24 Musikern auf der Bühne die ganze Bandbreite und Vielfalt der Musik von Mitte der 60er bis Anfang der 70er-Jahre: Von »Satisfaction« bis zu »Es fährt ein Zug nach nirgendwo«, von »Mama« bis zu »Light My Fire«, von Alexandra bis zu Led Zeppelin, von den Rolling Stones bis zu Reinhard Mey. Die Songs erweisen sich als Hilfsmittel und Waffen im Konflikt der Generationen und im Kampf um die Show, als Ausdruck von unterschiedlichen Lebenshaltungen und unvereinbarem Lebensgefühl, als politische Statements und persönliche Standortbestimmungen. Ganz wie in dieser »wilden« Umbruchszeit, in der Musik zum Katalysator gesellschaftlicher Veränderungen wurde.


Weitere Infos und Karten finden Sie auf: www.theater-heilbronn.de

Kreativteam

Inszenierung: Stefan Huber
Musikalische Leitung: Kai Tietje/Markus Hetzer
Choreographie: Eric Rentmeister
Bühnenbild: José Luna
Kostüme: Heike Seidler
Lichtdesign: Harald Emrich
Sounddesign: Alexander Hofmann
Video: Nikolai Stiefvater
Dramaturgie: Andreas Frane

Cast

Arlen Konietz, Stefan Eichberg, Oliver Firit, Pablo Guaneme Pinilla, Gabriel Kemmether, Julia Klotz, Eve Rades, Sarah Finkel, Kai Tietje/Markus Herzer

Szenenfotos






Pressestimmen

Rhein-Neckar-Zeitung

"Das Theater nimmt "Born to be wild" wieder in den Spielplan auf und zeigt: Eine Zeitenwende gab es in den Sixties und heute. Aller guten Dinge sind drei – und manchmal auch vier. Im vierten Anlauf gelang es, die aufwendige Produktion des Theaters Heilbronn "Born to be wild" im Großen Haus wieder in den Spielplan aufzunehmen. Einmal war die "Musikalische Revue" ja schon zu sehen gewesen: als Uraufführung. 2020 war das, dann aber kamen "Corona" und der Lockdown. Keine einfachen Zeiten lagen dazwischen, die Wiederaufnahme hatte auch deshalb Premieren-Charakter, weil einige Umbesetzungen notwendig geworden waren. Aber es hatten sich auch Voraussetzungen "draußen" geändert: Krieg in Europa. Nicht nur ein Lied wie "Give peace a Chance" muss man jetzt mit anderen Ohren und anderen Empfindungen hören, daran kam auch ein um jeden Preis amüsierwilliges Publikum nicht herum. Es war unüberseh- und unüberhörbar, aber auch nachvollziehbar und mit Nachgeschmack: Darf man so in Nostalgie schwelgen, sich mitreißen lassen und sich lautstark austoben? Der überwältigende Bigband-Sound des "Orchesters Max Wegener" (klingt nicht nur in der Namensgebung fast wie "Max Greger") und des Trios der "Easy Riders", die durchweg von stimmlicher und schauspielerischer Präsenz geprägten Song-Auftritte von sieben Protagonisten, die sich buchstäblich "reinschmissen" in ihre Auftritte und die alle alles "drauf hatten": Peter Alexander und Rita Pavone. Udo Jürgens und Reinhard Mey. Jimi Hendrix, die Beatles und die Rolling Stones, und natürlich "Steppenwolf" als Namensgeber. Die "tragende Idee" von Stefan Huber (Regie) und Kai Tietje, den beiden "Erfindern" der Revue, war diese: "Was würde geschehen, wenn Protest und Revolte der 1968er plötzlich einmal die glitzernde Showtreppe der Fernsehunterhaltung erobert hätten?" Die Rahmen-handlung und das Bühnenbild nahm diese Panikstimmung auf, in zwei Ebenen: die der glitzernden Show-Welt oben, und die der "Regie-Zentrale" unten, in aufgeregter Auflösung und der Ahnung kommender Umwälzungen. Dazwischen agierend, der Ansager, eine Art Klon von Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff alias Stefan Eichberg. Und auch sonst stimmt eigentlich alles: die Kostüme (Heike Seidler), mit den zu kurzen Röcken und Schlaghosen, oben zu lange oder hochtoupierte Haare, unten gendergleiche Blockabsätze, psychedelisches Getanze und das Marihuana-Tütchen – und vom Balkon flattern Flugblätter mit der Aufschrift "Stop the War". Zeitenwende auf der Bühne und Zeitenwende draußen: Schon der "Vorfilm" (Nikolai Stiefvater) hatte gezeigt, was auch zu erwarten war. Auf das schwarz-weiße Pausenbild folgten Adenauer und Kiesinger, Martin Luther King und Rudi Dutschke, der Schah und seine Prügelperser, der tote Benno Ohnesorg, Gudrun Ensslin und Andreas Bader von der RAF, und was die Straßenschlachten gegen die Springer-Presse damit zu hatten. Schöner war die Erinnerung an die Sprüche der "aufmüpfigen" Jugend: "Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment" oder "Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren". Da musste doch die heile Welt von "Mit Musik geht alles besser" die Gemüter beruhigen, bis die Nachricht hineinplatzt: Auf Rudi Dutschke wurde geschossen. Das ist auch der Moment, in dem die Revue die Kurve kriegt: Willkommen in der Wirklichkeit, auch heute wird wieder geschossen. Die Showtreppe leuchtet blau-gelb, und "Give Peace a Chance" wird zur bewegenden Hymne, das "Peace-Symbol" von den Parkas der "Halbstarken" dominiert den ganzen Bühnenraum (Bühne: José Luna). "So oder so ist da Leben", sang schon Hildegard Knef, die war vorher natürlich auch dabei. Das Publikum war begeistert."

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Angela Reinhardt, Musicals

„Eigentlich ist diese Musik 50 Jahre alt, unsere Eltern oder gar Großeltern haben sie gehört, und doch kann man jeden einzelnen Song mitsingen, sie stammen aus den Jahren 1965 - 1971 aus einer politisch turbulenten Zeit für Deutschland und für die ganze Welt. Auch damals sangen die Menschen für Frieden und für Menschenrechte, auch damals waren sie froh über ein paar Stunden Unterhaltung die Konflikte und Krieg vergessen machten. Die musikalische Revue von Kai Tietje und Stefan Huber ist eine Art deutsches „Rock of Ages“, oft genauso lustig und doch historisch gründlich verankert in der Zeit als man noch West-Berlin sagte und es im Fernsehen noch einen Sendeschluss gab. Die Bühne ist ein riesiges altmodisches Fernsehgerät, der Abend beginnt mit einem Schwarz-Weiß-Film, der binnen Sekunden all die Themen jener Zeit anschneidet – Vietnamkrieg, Woodstock, Kommune und APO, Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg, Start des Farbfernsehens, Antibabypille, den Mord an Martin Luther King, die Beatles. Und schon sind wir mittendrin in einer typischen deutschen Fernsehshow von damals. Vico von Kulenburg heißt der joviale Moderator und vereint all die Vico Torrianis und Hans-Joachim Kulenkampffs der Zeit in sich. Er hat, wie es damals üblich war, eine flotte Assistentin, er hat vor allem ein riesiges Showorchester samt musikalischem Leiter, das die komplette Showtreppe der schicken 60er- Jahre-Dekoration füllt. Drei fehlende Musiker werden, kurz bevor die Liveshow beginnt, durch die Mitglieder einer Rockband ersetzt, die einer der Stars des Abends mitgebracht hat. Und genau da beginnt das Problem. Denn man hat, um sich modern zu geben, zu altem deutschen Liedgut ein bisschen was von der neuen Musik der jungen Leute eingeladen. Der Abend beginnt mit einer gruselig familienfreundlichen Version von „Satisfaction“ und endet völlig losgelöst mit einem großen Peace-Zeichen über Marihuana-Wolken mit Anti-Imperialismus-Parolen und einem Publikum das inbrünstig John lennons „Imagine“ mitsingt. Nicht nur der aufmüpfige Regievolontär der Fernsehshow neigt zur „außerredaktionellen Opposition“ und lässt den Abend komplett entgleisen, auch einige der Gaststars scheinen direkt aus Woodstock entsprungen. Hier prallen Welten aufeinander - deutsche Schlagerstars, Hippies und Rocker, alle von Heike Seidler in perfekt zeitgemäße Kostüme gehüllt: Pullunder für die Redakteure, enge Samthosen samt Fönfrisur für den Schlagerstar und echte schmuddelige Hippieklamotten. José Luna lässt die Stars hinten durch einen James-Bond-Kreis auftreten, die niedlichen weißen Kreiselemente der Show Dekoration mutieren, wenn man sie in Regenbogenfarben anleuchtet, zu psychedelischen Bubbles. Bis auf Stefan Eichberg als Vico spielen alle Darsteller Doppelrollen einmal als Teil des biederen Fernsehteams und dann als Sänger auf der Showbühne. Regisseur Huber und Dirigent Tietje haben ihnen sprechende Namen gegeben. Pablo Guaneme Pinilla etwa vereint als Christoph Ähnlich sämtliche Klischees von Peter Maffay und Michael Holm bis Christian Anders. Sarah Finkel trägt italienische Schlager bei und findet als Vicos Assistentin Barbara kichernden Gefallen an überdimensionalen Joints. Eve Rades und Julia Klotz decken gefühlsvoll den alternativen Folk und die amerikanischen Songwriterinnen ab. Arlen Konietzund Oliver Firit die Rocker und Hippies, Gabriel Kemmether mäandert von Peter Alexander zu Reinhard Mey und Hildegard Knef. Über jedem Auftritt der etwa 30 Nummern schwebt ein Hauch liebevoller Ironie der die Manierismen und typischen Ticks von damals aufspießt. Die unglaubliche Detailfreude in Inszenierung, Ausstattung und den tollen Arrangements macht einen tollen Teil des Spaßes aus. Und so prallt mein „Freund der Baum“ auf „Eloise“, „Those were the days“ auf „Die Liebe ist ein Festmenü“ und „Cinderella Rockefella“ auf „Arrivederci Hans“. Wir hören „Mendocino“, „ Me an Bobby McGee“, „Aquarius“ und „Stairway to Heaven“, mit „Next Stop is Vietnam“ sind wir dann wirklich bei Woodstock und die Bühne bebt. Wie stark konnte die Rockmusik damals das brave Bürgertum doch bis in den Kern verunsichern! Flugblätter flattern ins Publikum und alle singen „Stop the war“ , das war bei der Ur- und Corona-bedingt einzigen Aufführung des Stücks im Herbst 2020 nicht so brandaktuell wie heute. Dem Pathos von „What a wonderful world“ und „Give peace a chance“ kann man sich derzeit nur schlecht entziehen. Dirigent Tietje lässt letzteren Titel ganz still ausklingen, zuletzt singt nur noch leise das Publikum. Der musikalische Leiter hat ein Orchester versammelt, das manch reduzierte West-End-Besetzung in den Schatten stellt. Zu seinen Arrangements gehören auch noch schöne Backgroundchöre. Herrlich, wenn in „Born to be wild“ kurz der damals populäre Ententanz reinknallt. Jukebox-Musical kann auch Bildung vermitteln, lernen wir in dieser höchst amüsanten Geschichtsstunde in deutscher Unterhaltungskunst.“