Premiere: 31.08.2017 | Schauspiel
Das Abschiedsdinner
Matthieu Delaporte/Alexandre de la PatellièreSchweizerdeutsch von Viktor Giacobbo
Stückinfo
Kreativteam
Inszenierung: Stefan HuberBühnenbild: Heike Seidler
Kostüme: Heike Seidler
Cast
Isabella Schmid *www.ischmid.de, Max Gertsch *maxgertsch.de, Sebastian Krähenbühl *www.sebastiankraehenbuehl.net
Szenenfotos
Pressestimmen
Freundesentsorgung beim «Abschiedsdinner» Winterthur, Casinotheater - Erfahrung und Wahrheit sind: Man hat nicht wirklich viele Freunde. Aber wahr ist womöglich auch: Man glaubt, mehr Freunde zu haben, als man wirklich nötig
hat. Man verwechselt das mit der Zahl der Einladungen, die man so übers
Jahr ausspricht und annimmt. Die Lötschers bei den Bergers und umgekehrt,
die Rohners bei den Lötschers und umgekehrt,das läppert sich und frisst Zeit,
wie uns die französischen Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patelli& re im komödiantischen Boulevarddrama
«Das Abschiedsdinner» vorrechnen lassen. Und es führt zum «System
Boris» - um es kurz zu machen, einer von einem Freund der Lötschers, Bergers und Rohners entwickelten Methode der stilvollen Freundesentsorgung bei
einem letzten Abendmahl. Sie konkretisiert sich in diesem Stück sehr eloquent,
am glanzvollsten dort, wo die Peinlichkeit beredt wird (und das funktioniert
nun auch prächtig in der schweizerdeutschen Fassung von Viktor Giacobbo).
Denn Delaporte und de La Patelliere kennen sich aus mit den Sitten und Fäulnissen
im Mittelstand. Die methodische Probe aufs Exempel wird hier nun von Pierre und ClaudiaLötscher (Max Gertsch und Isabella Schmid) an Toni (Sebastian Krähenbühl) vorgenommen. Sie würde gern auch an der Bea, seiner Frau, vorgenommen, das würde eine ständige olfaktorische Irritation durch Ungewaschenheit und Patschuli beenden. Aber die Bea «hat Theater» (keins wie dieses «Abschiedsdinner» natürlich, sondern eine performative
Körpersprachinstallation oder so ähnlich). So bleibts an Toni hängen, das
Experiment einer finalen Gastfreundschaftzu erleben, unbewusst zuerst,
dann bewusst, und fast hat man in beidenPhasen für die Claudia und den Pierre Verständnis: Der Toni, ein langjähriger Doktorand auf dem Gebiet der
finno-ugrischen Sprachen, ist ein neurotisch wehleidiger Jammersack, ein ausufernderErzähler dazu, und es eignet ihm ein Lachen, das bellt und keucht
und etwas Seehundartiges hat. Schwer auszuhalten. Aber blöd ist er nicht. Die
psychoanalytische Erfahrung hat bei ihm angeschlagen. Leicht kommen ihm
die Lötschers nicht davon, als er die Absicht merkt und verstimmt ist. Und was
da jetzt im Casinotheater - in einer sichtbar schräg möblierten Atmosphäre von bürgerlicher Belesenheit - das Trio Krähenbühl-Schmid-Gertsch unter der Regie
von Stefan Huber aus dem dramatischen Heuchelei- und Entlarvungsmaterial
holen, das hat Rasanz und Amüsanz, wenn das seltene Wort erlaubt ist. Es
steckt sogar Ernst im Scherz. Betonen wir also nicht zu sehr das theatralische
Schwächeln dort, wo die komische Schärfe sich in einer seltsamen Sentimentalität
aufweicht. Im Übrigen: Wäre man der zu Verabschiedendebei Freunden, auf die es
einem nicht so ankäme - eine Flasche Chäteau Petrus zum Adieu hätte Stil.
Lena Zumsteg, Der Landbote
AUS DEM LEBEN GEGRIFFEN. Was tun, wenn keine Zeit mehr für
die Menschen bleibt, die man wirklich gerne hat? Wenn die
«vZF», also die verfügbare Zeit für Freunde, immer kleiner wird und
man nur noch, Nachtessen für Nachtessen, von Freunden eingeladen
wird, die eigentlich gar keine Freunde mehr sind? Die Komödie
«Das Abschiedsdinner» im Casinotheater macht einen ungewöhnlichen
Vorschlag, wie man seinen Kalender optimieren kann. Am Donnerstag war Premiere. Nachruf zu Lebzeiten Claudia und Pierre, gespielt von
Isabella Schmid und Max Gertsch, sind mal wieder zu einem Abendessen eingeladen, auf das sie eigentlich absolut keine Lust haben. Also ergreifen sie
die Gelegenheit und beschliessen, in Zukunft auf solche Dinner
zu verzichten. Sogleich laden sie die ersten Gäste, Toni und Bea, zu
einem Abschiedsdinner ein. Ehrenvoll sollen die Freunde, die bald keine mehr sind, verabschiedet werden: mit dem besten Wein, ihrer Lieblingsmusik und
einem erstklassigen Menü - aber ohne dass die Gäste davon etwas
bemerken. Schliesslich soll die Freundschaft in guter Erinnerung
bleiben, aber eben in Erinnerung. Ein Nachruf zu Lebzei- Plan durchschaut: Toni (Sebastian Krähenbühl, vorne) merkt, dass Claudia ten quasi. Bea ist leider verhin- und Pierre (Isabella Schmid und Max Gertsch) ihn nur eingeladen haben,
dert, Toni, gespielt von Sebastian Krähenbühl, kommt also alleine.
Trotzdem wollen die Gastgeber das Abschiedsdinner durchziehen.
Schnell nimmt die Einladung - zum Essen kommt es erst gar nicht - einen unvorhergesehenen Verlauf. Toni hat den Plan durchschaut, Pierre versucht mit
einem dramatischen Monolog zu erklären, dass «manche Dinge einfach in Schönheit sterben müssen». Die ganze, anfangs aufgebaute Dramatik entlädt sich in dieser Szene. Die Zuschauer werden vor den Kopf gestossen: Wie konnte
es jetzt zu dieser Szene kommen? Dann werden sie in die Pause geschickt,
ohne auch nur einen blassen Dunst zu haben, wie es weitergehen könnte.
Die Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patelliere
lebt von der Situationskomik und dem Sprachwitz, der aber nicht immer funktioniert. Das liegt nicht an der schweizerdeutschen
Fassung - sie stammt von Viktor Giacobbo -, sondern viel mehr daran, dass manche Dialoge vorauszusehen sind. Die Überraschung fällt weg, die Lacher
bleiben aus. Gute Schauspielerleistung Abgesehen vom Glastisch, der hin
und wieder einen neuen Platz bekommt, verändert sich das Bühnenbild
während der ganzen Vorstellung nicht. Vorne gibt es gemütliche
Sitzmöglichkeiten, hinten ein Büchergestell, von einem Esstisch keine Spur. Das volle Büchergestellhat keine rechtwinkrechtwinkligen
Ecken, die Tablare sind schräg und führen zu unterschiedlichen
Endpunkten. Die Bücher darin können nicht gerade
angeordnet werden. Eine Andeutung auf die verstrickten und komplizierten Momenteeiner Freundschaft? Nachdem das Stück im ersten
Teil seine Längen hatte, lebt es im zweiten Teil richtig auf. Die drei
Schauspieler leisten Grossartiges, sie führen lange Dialoge,zeigen auch körperlich vollenEinsatz. Die Komödie gewinnt wieder an Dynamik, als Toni versucht,
die Freundschaft zu retten. Die Zuschauer sind wieder dabei, die Lacher auch.
Es wird gelästert, gestritten, es menschelt. Immer wieder werden
Gewohnheiten aufgenommen, die heute die Gesellschaft prägen. So etwa, dass man sich heute nicht mehr binden will und nur das macht, worauf man gerade
Lust hat. Klischees finden ebenfalls ihren Platz. Sie sind ein dankbares Mittel, das Publikum abzuholen. Schliesslich erkennt sich jeder irgendwo selbst. Diese Komödie ist aus dem Leben gegriffen. Denn wer hat sich, sei es aus Zeitmangel
oder aus einer Laune heraus, nicht auch schon überlegt, den Abend mit einem guten Freund der Einladung eines anderen vorzuziehen?








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