MEMORY LANE
Erinnerung an Stefan
Diese Seite ist ein „Work in Progress“. Die Inhalte werden kontinuierlich ergänzt und erweitert. Den Anfang macht die Laudatio für Stefan, anlässlich seiner Preisverleihung zum Ehrenpreis der Deutschen Musical Akademie, sowie eine kleine Fotostrecke des Probenprozesses zum Musical KISS ME, KATE, das Stefan 2015 für die Bad Hersfelder Festspielen inszeniert hat.

Laudatio Stefan Huber
Berlin, Theater des Westens, 9. Oktober 2023
Lieber Stefan,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich werde nicht den Versuch unternehmen, das künstlerische Schaffen von Stefan Huber in den eng gefassten Rahmen weniger Minuten zu pressen. Die meisten von uns wissen eh, dass er Schauspieler war und Musical-Darsteller, dass er Tony und Hamlet war, dass er Autor, Bearbeiter, Übersetzer und Regisseur in einer Person ist, dass er mit den Besten seines Fachs zusammenarbeitet, dass er weit über hundert Inszenierungen verantwortet hat und dass er an einigen der wichtigsten Orte des deutschsprachigen Theaters ebenso zuhause ist, wie in Fernsehstudios und auf Festivals.
Wenn er sich an einem frühen Punkt seiner Laufbahn, trotz beachtlicher Erfolge als Darsteller, entschieden hat, zur Regie zu wechseln und dem Musical sein Hauptaugenmerkt zu widmen, dann hat er sich damit der vielleicht wichtigsten Innovation der darstellenden Künste im 20. Jahrhunderts zugewandt. Es ist schließlich die amerikanische Variante des Jahrhunderte alten Versuchs, die griechische Tragödie für unsere Zeit wieder zu entdecken. Denn da waren die Disziplinen alle noch unter einem Himmel – und der war sternenklar. Es wurde gesungen, getanzt, gesprochen – grad so wie in der West Side Story – und eine Trennung von Komödie und Tragödie gab es noch nicht. Komik und Tragik waren miteinander verwoben, ebenso wie der Wechsel vom Banalen zum Erhabenen – grad so wie in den Arbeiten von Stefan Huber. Er hat verinnerlicht, dass im Zeitalter nach Samuel Beckett alles Trennende wieder fragwürdig geworden ist – grad so wie es in der ersten Hälfte des glorreichen fünften Jahrhunderts vor Christus in Athen schon war.
Stefan Huber hat substantiell zu einer Professionalisierung der Aufführungspraxis des Genres im deutschsprachigen Raum beigetragen – zunächst einmal dadurch, dass er dem lange gerade in Deutschland vorherrschenden Hochmut gegenüber der vermeintlichen Oberflächlichkeit des Genres entgegengetreten ist. Den in vergangenen Tagen nicht wenigen Stadttheaterintendanten, die meinten, ein Musical pro Spielzeit mal so eben mitliefern zu können, hat er seine Professionalität entgegengehalten.
Sein Markenzeichen ist Genauigkeit. Christoph Marti, mit dem ich mich im Vorlauf zu diesem Abend abgestimmt habe, hat mir dazu eine treffende Aussage von Stefans ehemaligen Assistenten, Martin Berger geliefert:
Stefan ist ein rastloses Rundumpaket, der jeden Aspekt im Sinn und Griff hat. Ich halte ihn für einen großartigen Lehrer, weil er ein so genauer, präziser und sensibler Regisseur mit einem absoluten Weltklasse-Handwerk ist, das man überall gebrauchen kann, weil es die Grundlage von allem Theatermachen ist.
Denn was ist Regie – Die Encyclopedia Britannica meint, es sei, ich zitiere, „die Kunst, alle Elemente eines Stücks zu koordinieren und zu kontrollieren“. Und weiter heißt es, in der Probe sei es die Aufgabe der Regie, auf der Bühne ein Bild zu schaffen, das der angestrebten Wirkung des gesprochenen oder gesungenen Wortes entspricht.
Wer immer das formuliert hat – er muss einmal Zeuge einer Probe von Stefan Huber gewesen sein.
Auf die Frage von Christoph Marti, wie man das in der Britannica Formulierte in weniger Wochen erreichen könne, antwortete ihm einst Helmut Baumann „Du kommst studiert“ – und Christoph beeilt sich, hinzuzufügen, dass niemand je studierter zur Probe kommt, als Stefan Huber. Öffentliches Üben kommt für ihn nicht in Frage.
Aber noch etwas anderes – etwas noch viel Wichtigeres – macht die Theaterarbeit von Stefan Huber aus. Um es zu beschreiben leihe ich mir ein paar Worte von Giorgio Strehler:
Theater-Arbeit ist wie jede andere Arbeit der Menschen. Anders in den Formen und Ausdrucksmöglichkeiten, in ihren Zielen und Rechten aber nicht verschieden von jeder anderen Bemühung, eine Welt „für“ und nicht gegen den Menschen zu schaffen.
Und schließlich ist das Theater der kontinuierliche Versuch, die Einsamkeit des Menschen unserer Zeit zu durchbrechen, zu einem substantiellen Miteinanderleben zu finden. Zitat Ende.
Es ist gelebte Menschlichkeit, die Stefans Arbeit durchwirkt und die es möglich macht, dass lange Zusammenarbeit mit ihm zwangsläufig in wirkliche Freundschaft mündet.
Lieber Stefan, Deine Inszenierungen, so habe ich es stets empfunden, sind von der Musik aus gedacht – und indem sie so unangestrengt den Gesang als höchstes Ausdrucksmittel menschlicher Gefühle in den Mittelpunkt stellen, werden sie selber zum Gesang. Der aber wird in unserem Kulturkreis nur von einer mythischen Figur wirklich vertreten – und weil das so ist, stellt sich mir ganz unvermittelt ein Text von Rainer Maria Rilke in den Weg, um auszudrücken, was wir alle heute Abend für Dich empfinden:
Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose
nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.
Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose
in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn
um andre Namen. Ein für alle Male
ists Orpheus, wenn es singt.
Und wenn Orpheus schon einmal unter uns ist, so sollten wir ihn feiern – die Deutsche Musical Akademie hat das getan und mit der Verleihung des Ehrenpreises an Dich, hat sie sich selbst geehrt!
Vielen Dank!